In der Liebesfalle

THEATER. Die Senioren des SeTA kennen die „Krankheit der Jugend“ und bringen sie deshalb vertieft auf die JuTA-Bühne.

von Ulrike Merten

Ein spannendes Projekt: reife Menschen mit ihrem gelebten Liebesglück und Verlassensleid spielen junge, die diese Erfahrungen gerade in diesem Augenblick machen. „Jeder sieht dem anderen zu, wie er in die Liebesfalle oder in die Depressionsfalle tappt“, beschreibt Marlin de Haan die Situation auf der Bühne, „ohne helfen zu können.“

„Wie für uns geschaffen“

28 Jahre jung ist die Regisseurin, die seit Januar mit dem Seniorentheater SeTA Ferdinand Bruckners „Krankheit der Jugend“ probt. Auf der Suche nach der Zeitlosigkeit des sich Liebens, sich Trennens, der Freundschaft, der Zukunftsangst und des Lebensmüde-seins. Zuvor am Theater Bochum, bewarb sich die gebürtige Solingerin mit dem festen Plan zum Stück in der Tasche beim SeTA. Und die Schauspieler (ab 65 aufwärts, Ende offen) versicherten gestern: „Das Thema ist für uns wie geschaffen“ Premiere: 25. Oktober, 20 Uhr, im JuTA, Kasernenstraße 6.
Man guckt beim Spiel auf seine eigene Vergangenheit, hat auch Ulla Krummel erfahren: Sie spielt die verlassene Marie und Sätze ihres Stücktextes, sagte sie, spukten ihr auch schon mal privat im Kopf. Gestern wünschte sie sich lachend im Rückblick: „Wärst Du nur einmal so ausgeflippt!“ Karl Wilhelm, der Untreue auf der Bühne, ist im wirklichen Leben nach 55 Ehe-Jahren Witwer, hatte sich lange in der Wohnung vergraben. „Dass man doch noch mal jemanden findet, mit dem man sich versteht, das ist toll. Es ist wichtig, sich nicht aufzugeben.“
Ditha Hendricks spielt seine „Neue“ im Stück, die sich mit Konkurrentin Marie auseinandersetzen muss. „Ein Riesenunterschied“, vergleicht Regisseurin Marlin de Haan die Eifersuchtsszene mit dem „Duell“ von Frauen um die 25. „Hier geht es beim Verlassenwerden um eine ganz andere Zeitspanne, eine Beziehung von 20 Jahren und mehr, ein geteiltes Leben. Da wird viel tiefer gestritten, auch böser.“
Bruckners „Krankheit der Jugend“ führt die Sprache der 20er Jahre im Munde. „Feiner, charmanter als der aktuelle Jugendjargon“, sagt de Haan. Sonst hätte es nicht funktioniert, dass ältere Leute junge spielen. Aus Bruckners Dramenzyklus „Jugend zweier Kriege“ hat die Regisseurin das Dialog-Material für ihr Projekt mit 31 Senioren geschöpft. Die haben den Titel übrigens für sich umgetauft in „Gesundheit des Alters“.
Längst nicht ausgereizt sei das Thema Jugend und Alter, findet die Regisseurin und hat soeben ihren Jahresvertrag um weitere 12 Monate verlängert. Alte Stücke neu zu definieren, gegen den Strich zu bürsten, das ist ihre Ambition. Jetzt ist sie auf der Suche nach neuem Stoff für das SeTA-Team. Das Ensemble, das seit 17 Jahren mit professionellem Anspruch spielt und seither jedes Jahr eine Produktion herausbrachte, folgt Marlin de Haan mit gespannter Erwartung. Seniorentheater, weiß Holm Gottschling, der neue Vorsitzende, hat mit Vorurteilen zu kämpfen. „Ringelpitz mit Anfassen“, nennt es Ulla Krummel beim Namen, unterstelle so mancher statt ernsthafter Bühnenarbeit. Die hat das SeTA spätestens mit der Revue „Kohlenklau und Trümmerfrau“ bewiesen.

 

NRZ, 18.10.2006

Senioren unter junger Regie

Marlin de Haan, 27, hat die Leitung des Seniorentheaters SeTa übernommen:
Ein spannendes Spiel für beide Seiten. Derzeit wird „Krankheit der Jugend“ geprobt, das im Oktober Premiere hat

von Verena Leidgens

Er fragt: „Wer ist Ihr Papa?“ „Das steht hier nicht zur Diskussion“, antwortet sie schnippisch und wendet den Blick ab. Auch er schaut weg, rollt mit den Augen und erwidert: „Was steht denn hier überhaupt zur Debatte?“ Diese Sequenz, ein Versuch sich näher kennen zu lernen, stammt aus Ferdinand Bruckners „Krankheit der Jugend“. Ein Stück, das in den 20er Jahren spielt und das Leben einer Gruppe von Studenten und jungen Erwachsenen portraitiert.
Doch in dieser Szene steht eine andere Generation auf der Bühne: Irene und Petrell werden Ditha Hendricks und Karl Wilhelm gespielt, Mitgliedern des Seniorentheaters SeTa. Seit Januar probt die Gruppe das neue Stück, das Ende Oktober Premiere haben soll. Zweimal wöchentlich treffen sich die 25 Spieler – unter der Leitung einer Frau, die schon eher in die Generation der Figuren Bruckners gehört: Marlin de Haan. Die 27-jährige arbeitet seit Januar als Regisseurin mit den Senioren und ist begeistert von der Theatergruppe. „Die sind richtig mutig auf der Bühne und trauen sich was. Es macht auf jeden Fall Spass.“
Seit 2003 arbeitet die Solingerin als Regisseurin am renommierten Schauspielhaus Bochum, hat aber auch schon zahlreiche Aufführungen mit Laienschauspielern geleitet. De Haan findet Amateurproduktionen sogar besonders spannend, weil „man da sehr viel herausholen kann“. In ihren Produktionen gibt die Regisseurin alten Stücken gerne eine neue Dimension, indem sie sie anders als in der Originalvorlage besetzt. So hatte de Haan auch schon längere Zeit die Idee, „“Krankheit der Jugend“ mit Senioren zu inszenieren.
„Das Stück behandelt Themen, mit denen man sich auch heute noch generationsübergreifend beschäftigt. Trennungsschmerz, Zukunftsgedanken und Beziehungskisten sind nicht nur Probleme der Jugend, sie betreffen auch die ältere Generation“, sagt sie. Als de Haan dann die Stellenanzeige des SeTa im Internet las, hatte die Regisseurin bereits ein Konzept im Kopf, mit dem sie sich bewarb. So viel Enthusiasmus hat ihr einen Jahresvertrag beim SeTa gebracht – und der Seniorengruppe zum ersten Mal ein besonders junges Produktionsteam beschert. Die Choreografin Sylvia de Rosa und der Bühnenbildner Jörg Zysik haben das 30. Lebensjahr noch nicht überschritten. Auch die Regieassistenz ist jung. Sie arbeiten zum ersten Mal mit einem Ensemble, dessen Altersdurchschnitt bei fast 75 Jahren liegt.
Die Theatergruppe ist begeistert von der Arbeit mit „so vielen jungen Leuten“ und auch ihre neue Spielleiterin strahlt: „Wir vergessen bei den Proben oft, wer eigentlich wie alt ist. Durch den Generationsunterschied bereichert man sich gegenseitig.

RP, 1.4.2006

Offen, wach, neugierig

PORTRÄT / Die 27-jährige Marlin de Haan ist mit dem Seniorentheater SeTA auf der Suche nach der Jugend im Alter

Marlin de Haan beobachtet. Menschen. Wie sie reden. Wie sie Schweigen. Wie sich mit anderen umgehen. Ihre Körpersprache. Und was sie dabei über sich verraten. Psychologie wollte die 27-jährige eigentlich studieren und entdeckte, „dass das Theater, die Arbeit mit den Schauspielern eine viel direktere, auf der Hand liegende Psychologie ist.“
Seit Januar ist die junge, neue Regisseurin des Seniorentheaters SeTA mit 60- bis 83-jährigen auf der Suche nach der Zeitlosigkeit des sich Liebens, sich Trennens, der unbekannten Zukunft und der Jugend im Alter.

„Das ist wie Kinderkriegen“

„Krankheit der Jugend“ heißt ihr Projekt, eine Collage aus dem gleichnamigen Stück von Ferdinand Bruckner (1891 bis 1958), angereichert mit Szenen-Material aus fünf weiteren Werken aus dem Zyklus des Dramatikers. „Ich bin sehr froh, dass ich das Ensemble überzeugen konnte. Die Chemie hat schnell gestimmt“, sagt Marlin de Haan, die ihr Handwerk als Regieassistentin am Schauspielhaus Bochum lernte, dort auch eigene Arbeiten wie „Ein Flanellnachthemd“ von L. Carrington und Lessings „Philotas“ auf die Bühne brachte.
Regieführerin, das bedeute weniger Bilder mit Schauspielern zu bauen, vielmehr die Geschichte in jedem Wort zu entdecken, nichts überzustülpen, sondern von innen herauszukitzeln. Marlin de Haan argumentiert auch wörtliche aus dem Bauch heraus. „Das ist wie Kinderkriegen. Man weiß, dass man schwanger ist, aber man muss es neun Monate austragen. Mit allem drum und dran, mit Übelkeiten und Höhenflügen.“ Die Geburt der Premiere ist für Oktober geplant.
Eigentlich hat das Stück nur sieben Rollen, doch „alle wollen spielen“ – typisch für die engagierte, 1989 gegründete Laiengruppe, die seither jedes Jahr ein Stück herausbringt. Und so schuf die Regisseurin mit Elementen des Zyklus „Jugend zweier Kriege“ 25 Figuren: allesamt Mittzwanziger, die sich in einem Café treffen, lachen, tanzen, trinken, reden… verkörpert von 60ern, 70ern und 80ern. „Doch das ist nicht das Thema“, betont sie. „Wenn es gelingt, dann fragt man sich nicht mehr, ist der alt oder jung, dann lösen sich diese Gedanken auf.“ Botschaft? Nein, danke. Und doch steckt zwischen den Zeilen, auch im Nichtgesagten die <Aufforderung, offen, wach und neugierig zu bleiben.
Ist die Theaterarbeit mit alten Menschen anders? „Das sind nur vordergründig physische Probleme“, urteilt Marlin de Haan und meint die Langsamkeit der Dinge. „Sehr liebenswürdig und sehr grazil“, charakterisiert sie ihr Ensemble. „Ein höflicher, feiner Umgang miteinander“ herrsche bei den Proben dienstags und donnerstags im Wilhelm-Marx-Haus. „Das Spielen spült die Vergangenheit hoch. 80-jährige tragen die Rivalitäten zweier Frauen aus, und es ist noch genauso schmerzhaft.“ Bewusst habe sie für ihr Thema auch ein Stück gesucht, dessen Sprache „charmanter ist als unsere heutige. Ein moderner Text ist viel härter. Dann funktioniert das nicht.“
Jugend ist für Marlin de Haan positiv besetzt. Freiheit und Frische fallen ihr dazu ein, „da ist noch alles offen.“ Allerdings räumt die 27-jährige ein: „Ich glaube, dass Jugend früher einfacher war, der Leistungsdruck heute, es ist alles auf der Kippe.“ Und was sagt ihr Blick aufs Alter? „Entweder man lässt sich fallen. Oder es gibt im letzten Lebensabschnitt, nach vielfach erzwungenem `Erwachsenensein´, eine Freiheit, die der der Jugend gleicht: Jetzt erst recht!“

NRZ, Ostern 2006