Das Unerforschliche der Thermodynamik – Performativ erforscht am Forum Freies Theater Düsseldorf

Jonah im Bauch der Schaltzentrale

Von Dina Netz, nachtkritik.de, 24.02.2012

Das Trio Marlin de Haan, Axel von Ernst und Julia Komfaß hatte die Latte hoch gehängt: Die Thermodynamik hat es in den Titel ihrer neuen Arbeit am Forum Freies Theater Düsseldorf geschafft, deren vier Sätze wohl keiner der Zuschauer parat hat. Macht aber nichts, es reicht zu wissen, dass es dabei irgendwie um Wärme, Energie und Unordnung geht.

Der Filter, die Maschine, Duft

Die Unordnung ist groß im Leben von Jonah (Felix Lohrengel): Er lebt nicht im Bauch des Wals, sondern in einer Maschine, die ihm ihren Rhythmus diktiert. Kaum wacht er auf, geht schon die Schaltzentrale an. Jonah kann gerade noch einen seiner bruchstückhaften Sätze ausstoßen („der Filter, die Maschine, Duft“), da beginnt schon das morgendliche Kommunikationschaos: Das Handy schrillt, das Mailfach vermeldet neue Post, SMS wollen gelesen werden, Facebook-Einladungen ploppen auf. Die Freundin beklagt sich, dass er sie versetzt hat. Die Mutter beschwert sich, dass er ihren Geburtstag vergessen hat. Der Chef will zurückgerufen werden, um ihm einen Job in Kairo anzudrehen. Jonah fällt in „Unruhe“.

Julia Klomfaß und Thanh Mai Susann Kieu machen dazu den Soundtrack: Mit vor den Mund gehaltenen Fingern ahmen sie das Gequatsche von Popwellen-Moderatoren und deren Weichspülmusik nach. Sie singen Zeitungstitelzeilen und Werbeslogans von Seiten, die Jonah im Internet anklickt. Sie imitieren das Spracherkennungssystem, das ihm die Worte im Mund umdreht. Sie schrillen und klopfen an und rhythmisieren seinen Kommunikationsalltag.

Jonah „muss jetzt erstmal zur Ruhe kommen“ und flieht in die added reality: Mit übergroßen roten Fingerhandschuhen, silbernen Unterarmschonern und einer Bettdecken-artigen Rüstung versucht er sich als kriegerischer Avatar, der sich einredet, er könne sich nun endlich ganz ausleben. In Wirklichkeit bringen ihm die zwei Musikperformerinnen als Circen um den Verstand, ziehen ihm das Geld aus der Tasche, und sein Stress ist mindestens so groß wie im realen Leben. Musik aus, Licht aus, und Jonah stellt sich endlich die Sinnfrage.

Die Welt braucht mehr Wärme

Es folgt ein etwas banaler, aber teilweise hübsch formulierter Monolog, in dem Jonah seine Rolle als Teil des Ganzen reflektiert und mit Schrecken einsieht, dass „Stehenbleiben gar nicht geht“. Die zwei Einflüsterinnen bringen ihn zur Erkenntnis, dass „das Geheimnis in der Thermodynamik“ liegt – also die Welt mehr Wärme braucht. Je mehr die Wärme steigt, desto größer müsste nach den Gesetzen der Thermodynamik eigentlich auch die Unordnung werden. Jonah aber macht erstmal den großen Reibach als Beauftragter von „Happy Shirts“ für die arabische Welt. Klar, auch das geht nicht gut aus, am Ende wird er auf einer Bahre in die Maschine integriert. Man könnte es auch platter sagen: Sie frisst ihn auf.

Die Geschichte von einem jungen Mann auf Sinnsuche ist schon origineller erzählt worden als vom Autor Axel von Ernst in „Das Unerforschliche der Thermodynamik“. Dass einem die Stunde Theater trotzdem nicht lang wird, hängt eher mit dem zusammen, was es zu sehen gibt: Johannes Jensen hat aus grauen Schränken und orangefarbenen Rohren eine riesige Maschinerie gebaut, auf der am Schluss – als Sinnbild des (Waren-)Kreislaufs – Toastbrote auf Wägelchen über Laufbänder fahren. das ist sehr sympathischer Unfug. Und humorvoll ist auch der Soundtrack, den Thanh Mai Susann Kieu und Julia Klomfaß mit exaktem Rhythmus und Timing singen, schnalzen, hauchen. Das Unerforschliche der Thermodynamik wird zwar auch in Düsseldorf nicht geklärt; stattdessen gibt es eine kurzweilige Stunde Theater.

FFT lässt die digitale Welt sprechen

Von Anna-Katharina Jung, RP, 25.2.2012

Die Besucher des FFT suchen noch nach ihren Plätzen, da ist es schon im Raum, dieses Geräusch: ein Zischen und Schnalzen, wie Dampf, der mit Druck durch die Rohre einer Fabrik gepresst wird und pfeifend durch Ventile entweicht. Es sind drei Schauspieler, die diese Geräusche erzeugen, doch man sieht sie zunächst kaum: Sie tragen graue Jacken, wirken wie Teile der mächtigen Maschine, die das gesamte Bühnenbild einnimmt.

Die Hauptfigur Jonah, gespielt von Felix Lohrengel, und seine zwei Begleiter erwachen aus dem Stand-by-Modus. Erst jetzt realisiert das Publikum, dass die Uraufführung von „Das Unerforschliche der Thermodynamik“ schon mit dem Zischen und Schnalzen begonnen hat. Schnell wird klar, dass Jonah zwar Gesellschaft hat, doch es ist die personifizierte digitale Welt, die ihn nicht aus den Augen lässt. Unaufhörlich zerrt sie an ihm.

Komponistin Julia Klomfaß und Sängerin Tanh Mai Susann Kieu bilden einen Chor, lassen die Technik sprechen. Da ertönen Arien, Popsongs und Klangfetzen wie aus dem Radio, Spam Mails verkünden große Gewinne und nörgeln Nachrichten auf Jonahs Mailbox. Von Überforderung geplagt versucht Jonah zu fliehen. Doch auch die fiktiven Welten, in die er sich rettet, liefern weder Ruhe noch Glück. Es beginnt eine Sinnsuche, deren Sinn selbst in Frage steht. „Was du tust, ist schnurzegal“, flüstert das All.

Mit Augenzwinkern erforschen die Künstler „Das Unerforschliche der Thermodynamik“, zeigen, wie sich der Mensch zwischen Wirklichkeit und maschinenproduzierter Virtualität verlieren kann. Die vierte gemeinsame Produktin von Regisseurin Marlin de Haan, Schriftsteller Axel von Ernst und Komponistin Julia Komfaß ist eine effektvolle Collage, die Chor und Schauspieler kompakt, mit vielen Klangeinfällen auf die Bühne bringen.