Bernarda Albas Haus

Eine Geschichte des Wartens
PREMIERE. Das SeTa stellte sein neues Stück vor. Federico García Lorca erzählt von Abhängigkeiten und später Liebe.

JULIA KILLET NRZ, 5. Oktober 2007

Die älteste Schauspielerin ist 80 Jahre alt und schlüpft in die Rolle einer 25-Jährigen. Die jüngste, 59 Jahre, versetzt sich in die älteste Protagonistin. Im Seniorentheater „SeTa“ setzt das Alter keine Grenzen. Am Mittwoch feierte das Ensemble mit „Bernarda Albas Haus“ im ausverkauften FFT-JuTa Premiere. Dies ist bereits das zweite Projekt zum Thema Jugend und Alter, das die 29-jährige Regisseurin Marlin de Haan mit dem „SeTa“ in Szene setzt. In einer eigenen aktualisierten Version zeigen 21 Senioren die Frauentragödie des spanischen Dichters Federico García Lorca aus dem Jahre 1936. Es ist eine Geschichte des Wartens und des Kampfes gegen das Vergessen werden.

Bernarda Alba, leidenschaftlich gespielt von Lis Gansweid, ist seit kurzem verwitwet und hat in ihrem Haus acht Jahre Trauer befohlen. Sie sperrt ihre ledig gebliebenen Töchter ein – trotz deren fortgeschrittenen Alters. Sie verbietet ihnen, sich mit Männern zu treffen, denn Bernardas größte Sorge ist es, ihre Kinder unter dem Stand zu verheiraten.

Schon die Bühne, alle Szenen spielen sich im Haus ab, erinnert mit ihren zwei starren weißen Wänden an ein Gefängnis. Hier entwickelt sich das Drama: Nur Angustias, die Älteste, darf eine Beziehung mit einem Mann eingehen. Sein Name ist Pepe del Romano, und er ist der schönste und begehrteste Mann im Dorf. Es entbrennt ein Streit zwischen den Töchtern, die dominante und herrschsüchtige Mutter verliert immer mehr die Kontrolle…

Den Protagonisten stehen Chöre gegenüber, die Texte und Lieder Lorcas interpretieren. Für komische Momente sorgt die Großmutter, die zerstreut über die Bühne tappt und auch unter der Fuchtel der Mutter zu stehen scheint. Das traurige Ende: Bernarda vertreibt den Frauenschwarm – es kommt zu einem Selbstmord.

Aus Angst vor dem Tratsch

Regisseurin de Haan hinterfragt mit ihrem Stück Konventionen. In welchem Alter kann man über das Heiraten nachdenken? Die Gesellschaft will da Richtlinien vorgeben, sagt sie. „Hier wird das Abhängigkeitsverhältnis künstlich aufrecht erhalten – aus Angst vor dem Klatsch und Tratsch der Dorfbewohner“, ergänzt Schauspielerin Lis Gansweid.

Erwin Gruber, 65, bisher Chefportier im Breidenbacher Hof, steht hier das erste Mal auf der Bühne und bekam gleich die Rolle des Frauenschwarms Pepe del Romano. Drei Monate besuchte er einen Flamenco-Kurs, um für die Tanzeinlagen zu üben. Gerd Hendricks, der Bernardas verwirrte Mutter darstellt, holte sich seine Anregungen auf der Straße: „Ich habe ältere Damen genau beobachtet. Dafür bin ich auch ins Altenheim gegangen“, berichtet der 69-Jährige. Offenbar waren seine Recherchen erfolgreich. Vom Publikum gab es nach einer Stunde Spiel lang anhaltenden Beifall.

DAS SENIORENTHEATER

Das SeTa (eigentlich: Seniorentheater in der Altstadt) wurde 1989 von Ernest Martin, dem damaligen Theaterleiter des JuTA (Junges Theater in der Altstadt) und dem Regisseur Wolfgang Caspar in Düsseldorf gegründet. Jedes Jahr präsentiert das Ensemble eine neue Inszenierung. Bis 1993 hatte Caspar die künstlerische Leitung, danach Helga Dürr und Gertrud Schwan (1994 – 1999). Von 2000 bis 2005 arbeitete das SeTa mit Götz Langer. Aktuelle Regisseurin ist Marlin de Haan, die mit dem Ensemble 2006 Ferdinand Bruckners „Krankheit der Jugend“ auf die Bühne brachte. Das Seniorentheater wurde bereits zu Gastspielen von Paris bis London eingeladen.

FFT zeigt Aufruhr in Bernarda Albas Haus

VON TIMO VAN TREECK RP, 5.10.2007

Es gibt ruhige, fast magische Momente in Marlin de Haans Inszenierung von Federico Garcia Lorcas „Bernarda Albas Haus“, die jetzt im Juta Premiere feierte. Es sind meist Augenblicke, in denen die Worte ruhen und die Schauspielerinnen des SeTA Zeit haben, zu wirken, den Raum mit ihrer Präsenz füllen.

Ansonsten geht es hektisch zu im Hause von Bernarda Alba (Lis Gansweid), obwohl die herrschsüchtige, mal allwissendes Auge spielende, mal die Wahrheit nicht hören wollende Witwe Trauer befohlen hat. Ihre fünf Töchter sind im Hause weggesperrt, doch statt einer pietätvollen Stille herrscht auf der Bühne ein Gebrabbel und Gewirbel, bewegen die Senoritas ihre Fächer. Als würde eine Unruhe sie zerreißen, wird gegiftet, gezischt, getuschelt und zwischendurch der Flamenco-Rhythmus angeklatscht.

Das passt zu der inneren Aufruhr der fünf Schwestern Angustias (Brigitte König), Magdalena (Ulla Krummel), Armelia (Anne Pitzler), Martirio (Inge Kollra) und Adela (Helga Jüttner), von denen gleich zwei in den selben Mann verschossen sind. Eingezwängt in die Vorstellungen der Mutter, in die Erwartungen der Dorfbewohner und argwöhnisch beäugt von den anderen Schwestern kämpft jede um etwas Liebe oder eine gute Partie. Denn eine Ehe mit Pepe el Romano (Erwin Gruber) ist nur der Ältesten Angustias erlaubt, Adela aber schafft auch schon Fakten.

Nicht immer jedoch gelingt es den Schauspielern, die inneren Beweggründe auch erfahrbar zu machen. Liebe, zerrieben zwischen Mutter und Töchtern, in verzweifelten Erwartungen kann noch mehr in den Herzen wühlen, als man es auf der Bühne sieht. Auch die Seniores und Senioritas mit ihren Ratschlägen haben sich noch nicht ganz in ihren Rollen gefunden.

Dafür glänzt das Stück mit den kleinen Gemeinheiten, die zwischen den Schwestern ausgetauscht werden. Und wenn Gerd Hendricks als Großmutter Maria Josefa das erste Mal in den Vordergrund tritt, wird es besonders still im Zuschauerraum, alle lauschen wie die alte Dame hinaus will aus ihrem Gefängnis, vom Meer träumt. Beachtenswerte kleine Momente entstehen, wenn hinterm Fensterkreuz Annäherungen gespielt werden, die Frauen sehnsüchtig das Hochzeitskleid anhalten oder ein Schaf als Ersatzkind herhalten muss. Großer Applaus.